Gestern stand Xavier Naidoo in Köln wieder auf einer großen Bühne: LANXESS arena, tausende Menschen, ein sichtbarer Neustart nach Jahren der Funkstille. Berichten zufolge war es das erste große Konzert nach rund sechs Jahren Pause und zugleich der Auftakt der Tour „Bei meiner Seele“.
Und ja: Wer Naidoos Stimme und seine alten Songs im Ohr hat, versteht, warum das emotional einschlagen kann. Seine Musik war für viele ein Soundtrack – für Jugend, für Trennungen, für Trost, für Hoffnung. Trotzdem hängt über diesem Comeback ein Satz, der sich nicht wegdrücken lässt: Schöne Musik macht hässliche Botschaften nicht ungeschehen. Genau deshalb fühlt sich dieser Abend nicht nur nach Konzert an, sondern auch nach gesellschaftlicher Bewährungsprobe. Ein Kommentar von Markus Müller, Leitender Redakteur (Bildquelle: https://www.xaviernaidoo.de/)
Woran wir uns erinnern müssen – auch wenn es unbequem ist
Denn Naidoos Karriere ist nicht „einfach nur“ eingeschlafen. Sie wurde in der jüngeren Vergangenheit massiv beschädigt durch öffentliche Entgleisungen und Inhalte, die ihm Rassismus-, Antisemitismus- und Verschwörungsvorwürfe eingebracht haben – inklusive Nähe zu Milieus, in denen demokratiefeindliche Erzählungen salonfähig sind.
Das ist keine Fußnote und auch kein „Shitstorm von damals“, der sich irgendwann erledigt. Im Gegenteil: Es geht um reale Wirkung. Um Worte, die Menschen entwürdigen. Um Narrative, die Minderheiten zur Zielscheibe machen. Und um ein Klima, in dem sich andere bestätigt fühlen, wenn ein prominenter Künstler derartige Linien überschreitet.
Die „Entschuldigung“ – und warum sie für viele nicht reicht
2022 kam dann dieses Entschuldigungsvideo: Naidoo distanzierte sich von Verschwörungserzählungen, sprach von Reue und davon, geblendet gewesen zu sein.
Nur: Für viele fühlte sich das nicht wie echte Aufarbeitung an, sondern wie ein kurzer Schritt auf der Stelle.
Weil eine Entschuldigung nicht nur aus dem Halbsatz besteht „für die ich mich entschuldigen möchte“, sondern auch aus dem, was danach kommt: Konkretisierung, Verantwortung, Konsequenzen.
Wer hat konkret Schaden genommen – und wer wird angesprochen? Welche Aussagen waren falsch, menschenverachtend oder gefährlich? Was hat sich im Denken verändert, und woran kann man das festmachen? Welche Taten folgen – langfristig, transparent und überprüfbar?
Wenn die Antwort darauf dünn bleibt, dann kippt das Verhältnis: Dann steht eine kurze Entschuldigung neben Jahren der Entgleisungen – und wirkt, als hätte jemand versucht, einen Flächenbrand mit einem Schnapsglas Wasser zu löschen.
Kunstfreiheit ist nicht Folgenfreiheit
Natürlich dürfen Künstler zurückkommen. Und natürlich darf das Publikum hingehen. Aber wir sollten ehrlich sein: Ein ausverkauftes Haus ist kein moralischer Persilschein mit einem Kochwaschgang auf 90 Grad. Und eine Bühne ist keine Waschmaschine für öffentliche Verantwortung.
Gerade wir in der Musikszene wissen doch, wie mächtig Kultur ist. Musik kann verbinden – und gleichzeitig kann sie politisch aufladen, normalisieren, verschieben. Deshalb ist die Frage nicht, ob Naidoo singen „darf“. Die Frage ist: Was machen wir als Szene daraus? Wegsehen? Schulterzucken? Oder endlich konsequent sagen: Wer Menschen abwertet, verliert Vertrauen – und Vertrauen muss man sich zurückarbeiten, nicht zurückfordern.
Was echte Aufarbeitung bedeuten würde
Wenn dieses Comeback mehr sein soll als ein PR-Reset, dann braucht es mehr als Setlist und Nostalgie. Dann braucht es Schritte, die unbequem sind, aber notwendig:
- Klare Benennung der eigenen Aussagen/Handlungen, ohne Nebelwörter.
- Glaubwürdige Distanz zu Milieus, in denen Antisemitismus, Rassismus und Verschwörungsmythen gedeihen.
- Konkretes Engagement, das nicht nach Fototermin riecht: Unterstützung von Projekten gegen Antisemitismus und Rassismus, langfristig und nachvollziehbar.
- Dialogbereitschaft, nicht als Talkshow-Drama, sondern als ernsthafte Auseinandersetzung.
Erst dann könnte man überhaupt anfangen, über „zweite Chancen“ zu sprechen, ohne dass es zynisch klingt.
Und wir? Wir entscheiden mit.
Am Ende bleibt ein bitterer, aber wichtiger Gedanke: Nicht nur Xavier Naidoo kehrt zurück. Auch wir kehren zurück – zu einer Entscheidung.
Nämlich dazu, ob wir als Musikpublikum und als Branche sagen: „Ist doch egal, Hauptsache die Stimme stimmt.“ Oder ob wir sagen: „Gerade weil Musik so viel bedeutet, darf Menschenverachtung darin keinen Platz haben.“ Inzwischen hat die Lanxess-Arena einen zusätzlichen Konzerttermin angekündigt.
Denn wenn wir alles verzeihen, was sich gut anhört, dann lernen wir irgendwann, Gefühle über Prinzipien zu stellen. Und das ist der Moment, in dem nicht nur ein Künstler ein Comeback feiert – sondern auch die Gleichgültigkeit.
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